Update zur Thematik Retrozessionen
Retrozessionen beschäftigen die Schweizer Gerichte schon über ein Jahrzehnt. Im Jahre 2006 hat das Bundesgericht entschieden, dass Retrozessionen im Vermögensverwaltungsgeschäft (worunter auch Provisionszahlungen, Bestandespflegekommissionen, Kickbacks, etc. fallen) offengelegt und herausgegeben werden müssen, sofern keine andere Vereinbarung mit dem Kunden abgeschlossen wurde. Dieser Grundsatzentscheid wurde in den folgenden Jahren weiterentwickelt. So hat das Bundesgericht etwa im Jahre 2012 festgelegt, dass eine Pflicht zur Offenlegung und Herausgabe von Retrozessionen auch konzernintern gilt.
Im Sommer 2017 hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit einem Versicherungsfall entschieden, dass in Bezug auf Retrozessionen die ordentliche Verjährungsfrist von zehn Jahren anwendbar ist. Die entsprechende Verjährungsfrist beginnt für jede einzelne Retrozession an dem Tage, an welchem der Beauftragte diese erhalten hat.
Neuerungen
Soweit so gut. In diesem Sommer ist nun ein weiteres Urteil des Bundesgerichtes hinzugekommen (BGer 6B_689/2016 vom 14. August 2018). Dieses betraf nicht primär die vertragsrechtliche Seite der Retrozessionsproblematik, sondern vielmehr die strafrechtliche Komponente. Das Bundesgericht hat die Verurteilung eines Vermögensverwalters wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung infolge nicht Offenlegung und Herausgabe von Retrozessionen für Rechtens erachtet und ein entsprechendes Urteil des Kantonsgerichts Wallis gutgeheissen. Der Vermögensverwalter wurde wegen diesem und weiteren Delikten zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Strafrechtlich relevant dürfte hierbei nicht primär die Nichtablieferung gewesen sein, vielmehr ist das deliktische Verhalten in der Verletzung der Abrechnungspflicht zu sehen.
Somit hat ein Vermögensverwalter nicht nur ein Risiko einer vertragsrechtlichen Haftung. Vielmehr besteht auch die konkrete Gefahr, dass eine strafrechtliche Verurteilung wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung (oder gar Betrug) nicht ausgeschlossen werden kann, wenn der Vermögensverwalter gegenüber seinem Kunden seine Abrechnungspflicht verletzt.
Mögliche Entwicklung
Es ist davon auszugehen, dass dies nicht das letzte Teilchen im "Bundesgerichtsmosaik" zum Thema Retrozessionen sein dürfte. Mit der strafrechtlichen Komponente hat die Retrozessionsthematik nicht an Schwung eingebüsst. So stellt sich etwa die Frage nach der strafrechtlichen Mitverantwortung von am Geschehen beteiligten Parteien, z.B. der Partei, welche die Retrozessionen leistete. Zu denken ist hier an den strafrechtlichen Vorwurf der Gehilfenschaft (wohl weniger Mittäterschaft).
Wenngleich viele Akteure in der Vermögensverwaltung dazu übergegangen sind, auf Retrozessionen zu verzichten, lässt sich nicht sagen, dass dies schon flächendeckend der Fall ist. Auch kennt die Schweiz, im Gegensatz zur Rechtslage in der EU, noch kein gesetzliches Verbot von Retrozessionen im Rahmen von Finanzdienstleistungen. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein solches Verbot in naher Zukunft eingeführt wird. So ist es den Vertragsparteien weiterhin möglich, eine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Regelung zu vereinbaren. Dass dies nicht immer trivial ist, versteht sich aufgrund der Komplexität von selbst.
Relevanz für diverse Branchen
Wenngleich die Thematik der Retrozessionen mehrheitlich im Rahmen von Vermögensverwaltungsvereinbarungen und bei Versicherungsmaklern diskutiert wird, sollte nicht übersehen werden, dass die Offenlegungs- und Herausgabepflicht bei allen Auftragsverhältnissen zur Anwendung gelangt. Daher ist die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht nur bei Vermögensverwaltern von Relevanz, sondern auch bei Ärzten, Treuhänder, Architekten, Anwälten, Ingenieuren, Unternehmensberatern, etc. Sie alle sind als Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber (sprich Kunden) Rabatte, Provisionen, Preisnachlässe, Schmiergelder usw. die ihnen von Dritten gewährt wurden, offenzulegen und herauszugehen. Diverse Beispiele aus dem Alltag zeigen indes, dass noch nicht alle in dieser "neuen Welt" angekommen sind und daher ein nicht unerhebliches Risiko mit sich tragen.
Simon Gerber
27. September 2018